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Redaktion 2018-02-26T16:34:30+00:00

Wohnreportage

Text und Fotos: Peter Michels

Inszenierte
RÄUME

Die Wohnung des
Berliner Architekten
Holger Schweitzer
ist eine Bühne. Große
Feste stehen ebenso
auf dem Spielplan wie
Inszenierungen
mit Licht oder
Übernachtungsgäste.
Und fast jedes
verwendete
Baumaterial erzählt
eine Geschichte

Zwei der präentiven Öfen  sind noch zu erhalten  – voll funktionsfähig.

Hundert Quadratmeter – das war für die Studentenbude recht üppig. Aber drei sonnendurchflutete Zimmer nach vorn und Küche, Kammer und Bad hinten hinaus im vierten Stockwerk mit Südbalkon für damals nur 420 D-Mark inklusive Nebenkosten wollte sich der Architekturstudent Holger Schweitzer vor 23 Jahren im Westberliner Bezirk Schöneberg dann doch nicht entgehen lassen. Bei so viel Platz konnte man ja zur Not immer noch untervermieten.

Rein technisch gesehen hatte er sich allerdings keine Luxusbleibe an Land gezogen: Ofenheizung (einschließlich eines Badeofens fürs heiße Wasser) und eine Bausubstanz, die durch die äußerste Sparsamkeit der greisen Besitzerin langsam verfiel, waren der Preis für die Quadratmetermiete von knapp fünf Mark.

Hinzu kam eine äußerst bunte Nachbarschaft: Die Häuser gegenüber waren besetzt und im Erdgeschoss befand sich eine Moschee. Eine Tatsache übrigens, an der sich auch Jahre, nachdem das Haus in den Besitz der Jüdischen Gemeinde übergegangen war, nichts änderte. Der hatte die alte Dame, auf deren Girokonto sich bei ihrem Ableben übrigens 1,8 Millionen Mark befanden, das Haus noch zu Lebzeiten vermacht.

Flügeltüren verbinden die drei Zimmer. Alle drei sind auch vom Flur aus zugängig.

Aus dem Studenten wurde ein Architekt, den Großaufträge bis nach China führten. Die Kohleöfen ersetzte Holger Schweitzer durch eine Gas-Etagenheizung, deren Leitungen er unsichtbar hinter den Fußleisten verlegen ließ. Und aus der schrillen Crellestraße der 80er-Jahre wurde eine gediegene Wohnstraße, in der heute einige der mittlerweile zu Regierungsräten mutierten Alt-Hausbesetzer oder Ex-Hippies mit ihrer Latte Macchiato vor gediegenen Lokalen sitzen oder in den feinen kleinen Fachgeschäften oder Ökoläden einkaufen.

Bei jedem Modernisierungsschritt tauchte natürlich die Frage auf: Sollte ich mir nicht lieber selbst etwas kaufen? Aber die unschlagbar günstige Miete und ein verlässlicher Mietvertrag gegen die neuen, Porsche fahrenden Yuppie-Besitzer, die das Haus von der Jüdischen Gemeinde erworben hatten und es nun profitabel modernisieren, gaben dann doch den Ausschlag für die Vollendung der Umbaumaßnahmen.

Möglich schöne Kleiderkammer:  Schlafen ohne Schränke
Zwei Laptops und ein aus  allen Räumen steuerbares  Subwoofer- Tonsystem  sorgen für Unterhaltung.
Wir würden die Tafel nicht brauchen,  die Platte an der Flurwand. Das Gestell  verschwendet gerade hinterm Ofen.

Holger Schweitzer ist einerseits Materialist, wie sich bei der Gestaltung der Räume zeigt, entledigt sich aber andererseits beim Wohnen gern möglichst allen Ballasts. Bilder, Bücher, Schallplatten, Videobänder, CDs – alles musste weichen für ein Höchstmaß an räumlicher Flexibilität. Eine für den Liebhaber großer Räume nicht zuletzt in Anbetracht der eher kleinen Zimmer weise Entscheidung! Nur im Wohnraum in der Mitte legte er sich fest: Dort sind alle Kabel der Audio- und Videoanlage unter Putz verlegt und die Lautsprecher des Surroundsoundsystems an den Wänden montiert.

Im benachbarten Raum hingegen kann der improvisierte Esstisch 14 Personen auf Klappstühlen um seine massive Eichenplatte versammeln. Sie ist aus Dielen angefertigt und liegt lose, aber dank ihres enormen Gewichts sicher auf dem Eiermann-Tischgestell auf. Dieses ist mit wenigen Handgriffen zerlegt, und der Raum ist frei für andere Nutzungen: Für Übernachtungsgäste steht beispielsweise eine Kommode bereit; die komfortable Doppelmatratze lagert im Hausarbeitsraum.

Ein anderes Thema beim Umbau war die Beleuchtung. Neben gutem Licht zu jedem Zweck war auch die übersichtliche Steuerung ein Ziel.

Holger Schweitzer plante einfach, aber wirkungsvoll: zunächst in jedem Raum eine Deckenleuchte, deren Spot stimmungsvoll den darunter platzierten Tisch ins rechte Licht setzt oder einfach den Holzboden behaglich schimmern lässt. Dann über jeder Tür indirektes Halogenlicht aus einer flachen Gipsschale gegen die weiße Decke, das für strahlende Helligkeit sorgen kann. Und schließlich ist immer die linke der in allen Räumen meist paarweise angeordneten Steckdosen ebenfalls für Leuchten reserviert und per Dimmer regulierbar.

Dimmer und Schalter befinden sich neben der Tür. Sie sind immer nach dem gleichen Prinzip angeordnet: Der oberste Dimmer regelt der Deckenleuchte, der nächste die indirekte Beleuchtung über den Türen. Darunter folgt der für die Leuchten an den Steckdosen. Meist sind dies sogenannte Schwanenhalsleuchten, die direkt in die Dosen gesteckt werden. Ihre Halogenspots können die Wände höchst effektvoll in Szene setzen.

Nur der mittlere Raum ist  durch Audio- und  Videoanlage funktioniert  festgelegt. Die  Balkonpflanzen werden  nachtbeleuchtet.
Sie sollte nicht perfekt sein:  Die Tischplatte soll  sich leicht durchbiegen und  Gebrauchsspuren zeigen
Links die Doppeltür ins  hintere Zimmer. Hinter der  leicht geöffneten Tür in der  Spiegelwand befindet sich  der behäbige Schrank

Die leeren und dadurch groß wirkenden Räume werden durch zwei Kammern ermöglicht. Die erste ist ein begehbarer Schrank hinter der Spiegelwand am Ende des Flurs. Dafür wurde die Stirnwand des Flurs bis zur Tür des hinteren Zimmers vorgezogen. In deckenhohen Regalen lagern dort sämtliche Kleidung und Wäsche.

Die zweite Kammer ist ein schmaler Raum zwischen Bad und Küche, dessen hinterer Teil bis etwa zwei Meter Höhe von der Küche aus als Speisekammer zugänglich ist. Er dient als Hausarbeitsraum und beherbergt neben Waschmaschine, Trockner, Aktenordnern, dem Bügelbrett und den Gästematratzen noch ein Hochbett. Da dessen Kopfende oberhalb der Speisekammer liegt, hat es darüber ein kleines Fenster zum Hof. Wenn‘s eng wird, zieht sich der Hausherr dorthin gern zum Schlafen zurück.

Holger Schweitzers Materialismus zeigt sich bei der Raumgestaltung. Dort versammelt er, was für ihn Heimat und Leben darstellt: heimisches Kiefernholz, märkischen Sand, Berliner Klinker, Fundstücke und Reste von Baumaterialien mit Geschichte(n). Dafür verzichtete er sogar auf seine Bildersammlung.

Die Fenster und Türen aus Kiefer hat er in einem Spezialbetrieb in Weimar von Farbe befreien lassen. Auch die Klinker der Mauern ließ er teilweise freilegen. Andere Wände wurden mit Rotband verputzt und solange geschliffen, bis sie die sandig changierende Struktur zeigten, die sich der Architekt wünschte.

Die Kassetten der  Wohnungstür waren  von einem mit durchgehenden  Metallplatten gesicherten. Diese  wurden entlackt und patiniert. Auf gesetzte Sperrholzplatten  markiere heute auch innen  wieder die Kassetten
Der Fliesenspiegel aus  Carrara-Marmor ist durch die  umlaufende Fase an der Kante  der  Klinkerwand zu schweben

Auch das Bad versammelt Puzzleteile aus Holger Schweitzers Leben. So war ein großer Block Carrara-Marmor für 120 Bäder eines Luxusgroßprojekts im Grunewald geordert worden. Nach der Fertigstellung waren Platten übrig, die man daraus geschnitten hatte. Holger Schweitzer konnte sich für kleines Geld ein paar besonders schön gemaserte sichern, einige gar mit bereits für die Eckverlegung gefaster Kante. Jetzt kontrastiert der polierte Marmor in Form eines elegant fugenlos verlegten Fliesenspiegels mit den rauen Berliner Ziegelsteinen der Badezimmerwand.

Die Waschtischplatte aus Onyx war das Reststück einer großen Platte, das wegen seiner Bruchkante und der vielen Unregelmäßigkeiten auf den Ausschuss eines Steinmetzes wandern sollte. Heute lagert sie auf vier mächtigen, eigens gefertigten Konsolwinkeln im Bad. Sie trägt die aus brandenburgischem Ton maßgetöpferte Waschschüssel. Anstatt durch ein banales Abflusssieb fließt das Wasser durch eine Kollektion schöner Kieselsteine ab. Sind sie verkalkt, wandern sie in die Geschirrspülmaschine des Hausherrn, der Wert darauf legt, pflegeintensive Hochglanzbäder nicht zu schätzen.

Einige der schönen  gemarmorten Marmorplatten verdecken  . Eine  Leuchtstoffröhre  hinterleuchtet die Platten
Onyx-Waschtisch mit  getöpfertem Schüssel. Der  Spiegel hat die gleiche  Masse wie die Marmor  Badewannenrückwand

Auch in der Küche gilt das Motto „Weniger ist mehr“. Allerdings stoßen wir hier erstmals auf Künstliches: Da er schließlich nicht in einer „Jodelhütte“ wohnen wollte, wählte der Architekt für die selbst entworfenen Küchenschr.nke ein Fantasielaminat, das ihn an afrikanische Okapis erinnerte und damit ein Element ins Spiel brachte, das ihn an seine Schaffenszeit auf dem schwarzen Kontinent erinnerte. Damit kontrastieren perfekt die schlanken Arbeitsflächen aus hellem Cashmere White, einem Granit aus Indien, wo Holger Schweitzer einige Zeit studierte.

Der immense Aufwand, der in dieser schlicht wirkenden Küche steckt, ist unsichtbar. Die Regalborde nehmen nicht nur Flaschen und Gläser auf, sie spielen auch eine wichtige Rolle bei der Küchenbeleuchtung. Die oberen sind mit klaren Linienlampen bestückt. Das sind röhrenförmige Glühlampen, die (dann aber in matter Ausführung) häufig als billige Badleuchten über dem Spiegel verwendet werden. Ihr warmes Licht bricht sich sanft schimmernd und höchst stimmungsvoll im Glas.

Hinter der Spiegeltür  verbirgt sich die Gastherme  der Heizung
Für den Essplatz entwarf der  Architekt einen Tisch aus  Stahl und Eiche, der an einer  Kabeltrommel erinnert

In den Unterseiten der unteren Regalborde sind Niedervolt-Halogenspots als Arbeitsflächenbeleuchtung eingebaut. Ihre Transformatoren lagern in den Sockeln der Küchenschränke, die Fronten zu Revisionszwecken und um den Stauraum dahinter zu nutzen nur angeklippst sind. Von dort führen die Zuleitungen in Leerrohren unter Putz bis zu den Bohrungen an der Rückseite der Borde.

Auch der dank seines 120 Kilogramm schweren Stahlfußes ausergewöhnlich standfeste Küchentisch ist ein Entwurf des Architekten. Seine Eichenplatte wurde kräftig mit Rohrfrei behandelt, um sie benutzt und alt wirken zu lassen. Tatsächlich nimmt ihre geölte Fläche nichts mehr übel – wie ein altehrwürdiger Wirtshaustisch.

Ausklinkt: Die Arbeitsfläche  hinter der Tür Ein  offenes Regal mit Platz für  Toaster & Co. Hinten die  Speisekammertür

Büroadresse:

Holger Schweitzer
Dipl.-Ing. Architekt
Gleditschstraße 32
10781 Berlin
Telefon +49 (0) 30 78 26 615

www.holgerschweitzer.com